Birgit Sauer: Liebe in Zeiten des Populismus 2018-05-14T13:15:29+00:00

Birgit Sauer

Liebe in Zeiten
des Populismus

Affekttheoretische Gedanken

Es ist hinlänglich erforscht und theoretisiert – wenn auch nicht immer unumstritten –, dass (auch liberale) Demokratien auf Emotionen, Gefühlen und Affekten basieren, ja sie brauchen. Ohne Leidenschaft(en) funktioniert Politik nicht, kann Demokratie nicht gelebt werden. Und daraus folgt auch, dass Gefühle, Leidenschaft, Affekte nicht als Gegensatz von durch Rationalität oder Vernunft geleiteten politischen Entscheidungen gesehen werden können. Da tut sich dann aber die Frage auf, wie mit rechtspopulistischer Mobilisierung von Emotionen, mit der „Politik der Gefühle“, die auf Ausschließung zielt, umgegangen werden kann. Das „Andere“ muss in dieser exkludierenden Logik abgewertet, ja herabgewürdigt werden, damit es ausgegrenzt werden kann und damit das Eigene nicht nur geschützt, sondern überhaupt in der Geste der Ab- und Ausgrenzung entstehen kann. Rechtspopulistische Mobilisierung und Agitation benutzt also starke Gefühle, um den Antagonismus „Wir“ gegen die „Anderen“ spür- und (er-)lebbar zu machen. Überall in Europa wird die Angst vor sowie die Wut gegen neoliberale Zustände und den Abbau sozialer Rechte durch rechtspopulistische Akteur*innen in Hass gegen „Andere“ umgewandelt. So kommt die Gefühlsökonomie der Mehrheitsgesellschaften in ein ausbalanciertes Lot – freilich auf Kosten von Solidarität und letztlich auf Kosten von Demokratie, die ja in gemeinsamem Handeln gründet.

Ist also kein Platz für Liebe in neoliberalen und rechtspopulistischen Zeiten? Wenn Liebe sich nur auf ‚das Eigene‘ beziehen kann – auf die Familie, den Freundeskreis, die Nation, wie die Rechtspopulist*innen vorschlagen, – wenn das Begehren vornehmlich auf das eigene Fortkommen zielt, wie der neoliberale Diskurs diktiert, dann ist demokratischer emanzipativer Gesellschaftsgestaltung der Boden entzogen. Kann Liebe, wenn sie nicht im bürgerlichen Sinne als heterosexuelle Lebensweise und nicht nur exklusiv auf das Selbst oder die Partner*in gesehen, sondern als ein Gefühl von Zuneigung, Empathie, ja Offenheit begriffen wird, ein neues Begehren nach Gemeinsamkeit und schließlich auch nach Demokratie entfachen? Kann sie die Mitmenschen anstecken, affizieren, nicht länger unter antagonistischen und exklusiven Bedingungen leben zu wollen? Liebe darf dann freilich nicht als statisch gedacht werden, sondern muss als ein Prozess, vielleicht besser als Intensität verstanden werden, mit der Menschen handeln und anderen Menschen als Gleiche begegnen. Liebe kann, ja muss in diesem Sinne Streit und Konflikt enthalten, ja ermöglichen.